Wie im Gehirn entsteht, was wir Bewusstsein nennen, ist unbestritten eines der großen ungelösten Welträtsel. Emil du Bois-Reymond hat es bei seinem berühmten Vortrag "Die sieben Welträtsel", welchen er im Jahr 1880 vor der Akademie der Wissenschaften in Berlin gehalten hat, in die Frage gekleidet: "Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?"


Eine Bemerkung vorab: Dieser Artikel ist noch nicht vollends ausgereift, auch enthält er bereits Querverweise auf andere Artikel, die sich bei uns in Arbeit befinden, jedoch noch nicht publiziert sind. Dies gilt z.B. für den Verweis auf unseren neuen Ansatz zur allgemeinen Systemtheorie im folgenden Absatz. Gleichzeitig enthält der Artikel auch Lücken, bei denen wir noch keine abschliessende Meinung haben. Theoretisch konzeptionelle Überlegungen und praktische Anwendung befruchten sich gegenseitig und mal hat der eine und mal der andere Teil die Nase vorn. Bitte berücksichtigen Sie dies beim Lesen und nutzen die Kommentarfunktion, um uns Fragen zu stellen oder Anregungen zu geben. Neues Wissen und neue Konzepte benötigen Interaktion um zu reifen.


Wir haben behauptet und versprochen, dass die Einsichten der Allgemeinen Systemtheorie und die heuristische Methode des ontogenetischen Denkens dabei helfen können, die ungelösten Welträtsel zu knacken. Wollen wir also sehen, wie weit wir kommen! Die Methode des ontogentischen Denkens rät dazu, zunächst das Phänomen gründlich zu analysieren. Im Falle des Bewusstseins sehen wir uns aber mit der besonderen Situation konfrontiert, dass sich das Bewusstsein nicht von außen beobachten lässt. Jeder Mensch kennt nur sein eigenes Bewusstsein durch Introspektion - von außen beobachten können wir weder unser eigenes Bewusstsein noch das Bewusstsein eines anderen Lebewesens. Wir können daher nur durch Analogieschluss aufgrund äußerer Anzeichen vermuten, dass auch andere Menschen (und vermutlich auch höherentwickelte Tiere) ein Bewusstsein besitzen - aber wir wissen nicht, wie sich deren Bewusstsein für sie selbst "anfühlt".

Darstellung der Bühne des Bewusstsein des GehirnsProbieren wir dennoch, was sich trotz dieser Schwierigkeiten herausfinden lässt: Für mich stellt sich das Bewusstsein als die Bühne dar, auf der alle meine Sinneswahrnehmungen und Gedanken auftreten. Was ich für die Außenwelt halte, ist eigentlich gar nicht die Außenwelt, sondern eine Darstellung in meinem Kopf. Wenn ich allerdings schlafe, dann habe ich keine bewussten Wahrnehmungen. Bewusstlos kann ich auch werden, wenn ich durch einen Schlag oder ein Medikament betäubt werde. Das Bewusstsein muss also etwas sein, was sich gewissermaßen an- und abschalten lässt. Unsere essentiellen Lebensfunktionen wie Atmung und Herzschlag funktionieren auch ohne Bewusstsein.

Als zweiten Schritt sieht die Methode des ontogenetischen Denkens vor, sich zu überlegen, wie die beobachteten Phänomene zustande kommen können. Weil die Antwort darauf noch im Dunkeln liegt, wollen wir diesen Schritt zunächst überspringen und den dritten Schritt vorziehen - nämlich die Frage, wie es entwicklungsgeschichtlich zur Herausbildung des Bewusstseins gekommen sein mag.  

Das Bewusstsein ist offenkundig ein Produkt der biologischen Evolution. Unbelebte Materie verfügt über kein Bewusstsein. Aber auch von den fünf großen Reichen der biologischen Lebewesen - Tiere, Pflanzen, Pilze, Bakterien und Viren - besitzen lediglich Tiere ein Bewusstsein. Aber auch nicht alle Tiere, sondern nur solche mit einem Zentralnervensystem. Bewusstsein ist an das Vorhandensein eines Gehirns geknüpft. 

Diese evolutionsbiologischen Befunde geben einen Hinweis darauf, warum das Bewusstsein ursprünglich entstanden ist: Tiere sind die einzigen Lebewesen, die sich gezielt fortbewegen können. Eine wesentliche Aufgabe der Sinnesorgane und des Nervensystems besteht darin, die Bewegung des tierischen Körpers im Raum zu steuern. Dazu müssen die verschiedenen Eindrücke, die die Sinnesorgane von der Umgebung vermitteln, miteinander verbunden werden. Das Bewusstsein gleicht einer Leinwand, auf die alle Sinneseindrücke projiziert werden. Die Leinwand ist allerdings nicht zweidimensional, sondern dreidimensional - also eher eine Bühne als eine Leinwand.

Für einen systemtheoretisch geschulten Betrachter ist das Bewusstsein ein Paradebeispiel für einen emergenten Effekt. Bewusstsein beruht auf der Nerventätigkeit, zeigt aber Phänomene, die auf der Ebene der Nerven nicht zu beobachten sind. Genau dies hat Emil du Bois-Reymond mit seiner Frage ausgedrückt: "Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?" Nun haben unsere Betrachtungen zur Systemtheorie gezeigt, dass es neben dem Effekt der Emergenz auch den Effekt der Submergenz gibt. Submergenz bedeutet, dass die höhere Systemebene auf das Verhalten der Elemente auf der untergeordneten Systemebene einwirkt - so wie im Organismus die Zellen, aus denen der Organismus besteht, zu verschiedenen Geweben und Organen ausdifferenziert werden. Dafür muss es - logisch zwingend - einen "informatorischen Rückkanal" von der höheren Systemebene zur niedrigeren Systemebene geben. Auf das Gehirn übertragen bedeutet diese Einsicht, dass es einen informatorischen Rückkanal vom Bewusstsein zu den Nerven geben muss - d.h. die Inhalte des Bewusstseins müssen einen Einfluss auf die Nerventätigkeit haben. Oder anders ausgedrückt: Nervenzellen müssen in der Lage sein, den Inhalt des Bewusstseins zu beobachten. Über einen solchen Rückkanal weiß der aktuelle Stand der Wissenschaft jedoch nichts. Aufgrund unserer systemtheoretischen Überlegungen erscheint es jedoch zwingend, dass es einen solchen Rückkanal geben muss, der noch nicht entdeckt wurde.

Wo könnte die Suche nach einem solchen Rückkanal vom Bewusstsein zur Nerventätigkeit ansetzen?

HirnelektrodenBekannt ist, dass die Nervenimpulse elektrischer Natur sind. Aus der Physik weiß man, dass elektrische Ströme nur zwischen unterschiedlichen elektrischen Potentialen fließen können und jeder elektrische Strom unweigerlich die Entstehung eines Magnetfeldes zur Folge hat. Die elektrischen Potentiale, die mit der Nerventätigkeit im Gehirn verbunden sind, lassen sich mit Elektroden messen, die man die Kopfhaut anlegt - dieses Verfahren ist als Elektroenzephalografie (EEG) bekannt. Auch die von den Hirnströmen erzeugten Magnetfelder lassen sich messen, dazu nutzt man die Magnetenzephalographie (MEG). Bislang wurden die mit den Hirnströmen einhergehenenden elektrischen Potentiale und Magnetfelder als Nebeneffekte betrachtet, die selbst keine unmittelbare physiologische Auswirkung haben. Könnte es aber vielleicht sein, dass Nervenzellen von diesen elektrischen Potentialen und Magnetfeldern, die von anderen Nervenzellen im Gehirn stammen, beeinflusst werden? Wenn es so wäre, dann könnten Nervenzellen die Tätigkeit anderer Nervenzellen beobachten, mit denen sie nicht direkt über Synapsen verbunden sind. Die Tätigkeit der auf Musterkennung in den Sinnesreizen spezialisierte Gehirnregionen würde dann spezifische elektrische und magnetische Wellenmuster erzeugen, die sich überlagern und von anderen Gehirnregionen registriert werden. Auf diese Weise könnte das entstehen, was wir in der Introspektion als Bewusstsein wahrnehmen - als die Bühne, auf der alle unsere Sinneswahrnehmungen dargestellt werden. Im Schlaf oder bei Betäubung wird der Rückkanal abgestellt - das Gehirn beobachtet dann seine eigene Tätigkeit nicht mehr.

Wenn es diesen hypothetisch postulierten Rückkanal im Gehirn tatsächlich gibt, müsste dieser Rückkanal experimentell nachweisbar sein. Heute lassen sich bereits Mini-Gehirne im Labor züchten. Wenn man an diese elektrische bzw. magnetische Schwingungen anlegt, die den Schwingungen von Gehirnen nachempfunden sind, sollten sich Änderungen in den Reizmustern der Nervenzellen beobachten lassen. Außerdem sollten sich auch Mini-Gehirne, die getrennt, aber räumlich eng benachbart sind, in ihren Aktivitäten gegenseitig beeinflussen. Wenn dies tatsächlich so wäre, dann wäre die evolutionsbiologische Herausbildung des Bewusstseins kein großes Rätsel mehr - sondern eine zwangsläufige Entwicklung, sobald eine gewisse Zahl an Nervenzellen in räumlicher Nähe wie in einem Zentralnervensystem zusammenkommt.

Leider sind wir keine Neurobiologen, sodass wir die vorgeschlagenen Experimente nicht selbst durchführen und die Hypothese überprüfen können. Vielleicht können wir aber interessierte Forscher inspirieren ...

 

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