Der Begriff "Welträtsel" geht auf eine Kontroverse unter vorwiegend deutschen Gelehrten im 19. Jahrhundert zurück, ob die Wissenschaft in der Lage ist, die fundamentalen Fragen unseres Weltverständnisses zu klären.  

Inschrift "Wir müssen wissen - wir werden wissen" auf dem Grab von David HilbertDer angesehene Göttinger Mathematiker David Hilbert (1862-1943) stellte im Jahr 1900 bei einem Vortrag auf dem Internationalen Mathematikerkongress in Paris eine Liste mit fundamentalen mathematischen Problemen vor, die damals ungelöst waren und die er daher seinen Fachkollegen ans Herz legen wollte. Hilbert war Optimist und vertraute auf die Problemlösungskompetenz der Wissenschaft. Sein Lebensmotto "Wir müssen wissen - wir werden wissen" wurde später auf seinem Grabstein eingemeißelt.

Hilberts Motto nimmt Bezug auf eine Auseinandersetzung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert unter den Gelehrten der Zeit ausgetragen wurde, wie weit die Erklärungskraft der damals aufstrebenden Wissenschaften reicht und jemals reichen kann. Der Physiologe Emil du Bois-Reymond (1818-1896) hatte im Jahr 1872 bei einer Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Leipzig einen Vortrag unter dem Titel "Über die Grenzen des Naturerkennens" gehalten, dessen Kernbotschaft in die lateinische Formel "ignoramus et ignorabimus" gegossen wurde: Wir wissen es nicht und wir werden es nicht wissen. Dieser Ausspruch löste eine kontroverse und langanhaltende Debatte aus. Emil du Bois-Reymond lies sich von seinen Kritikern jedoch nicht beirren und legte in der Debatte später noch einmal nach. Bei einem Vortrag vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Jahr 1880 stellte er "Die sieben Welträtsel" vor, von denen er einige für grundsätzlich unlösbar hielt: 

  1. Was ist das Wesen von Materie und Kraft?
  2. Was ist der Ursprung der Bewegung? 
  3. Woher kam das erste Leben?
  4. Wieso ist die Natur anscheinend so absichtsvoll und zweckmäßig eingerichtet?
  5. Woher stammt die bewusste Empfindung in den unbewussten Nerven?
  6. Woher kommen das vernünftige Denken und die Sprache?
  7. Woher stammt der freie, sich zum Guten verpflichtet fühlende Wille?

Erstausgabe von Ernst Haeckels "Die Welträtsel" (Foto: H.-P. Haack) Die 1899 veröffentlichte Gegenschrift "Die Weltraethsel" des Biologen Ernst Haeckel (1834-1919), der Darwins Evolutionstheorie propagierte, erreichte große Popularität. Sein Buch trug wesentlich zur populärwissenschaftlichen Bildung breiter Bevölkerungsschichten im deutschen Sprachraum bei. Haeckel war im Gegensatz zu du Bois-Reymond überzeugt, dass sich das Weltgeschehen vollständig wissenschaftlich erklären lässt.

Mit Blick auf den heutigen Erkenntnisstand der Wissenschaften muss man fairerweise wohl einräumen, dass die sieben Welträtsel, die Emil du Bois-Reymond im Jahr 1880 beschrieben hat, noch immer nicht vollständig gelöst sind. Die Entstehung des Lebens aus toter Materie liegt noch immer weitgehend im Dunkeln und die zweckmäßig erscheinende Einrichtung der Natur gibt uns weiter Rätsel auf. Zudem muss man konstatieren, dass sich die Wissenschaft von solchen fundamentalen Fragen entfernt hat und sich stattdessen mit Detailproblemen in einer Vielzahl von Einzelfächern befasst. Einen David Hilbert sucht man heute vergeblich, der fähig und willens wäre, anzupeilende Wegmarken für den weiteren Wissensfortschritt zu definieren. Naturwissenschaftlich und philosophisch gebildete Gelehrte wie Carl Friedrich von Weizsäcker (1912-2007), der den Aufbau der Physik aus grundlegenden philosophischen Überlegungen herzuleiten versuchte, sind weitgehend ausgestorben. Naturgeschichtliche und naturphilosophische Fragestellungen treiben die heutige Generation von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nicht mehr an. 

Es sind aber nicht nur die fundamentalen Verständnisfragen nach dem Wesen von Raum und Zeit, der Entstehung von Leben und Bewusstsein, dem Verhältnis zwischen Sprache und Welt, die weiter einer Beantwortung harren. Es gibt auch in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen eine Fülle von kleinen Welträtseln, die spannend und ungelöst sind. Mit solchen großen und kleinen Welträtseln und möglichen Lösungen dafür befasst sich welträtsel.org.

Lesetipps:

  • Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens – Die Sieben Welträtsel, De Gruyter 1916
  • Ernst Haeckel: Die Welträthsel - Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie, Emil Strauß 1899 
  • Carl Friedrich von Weizsäcker: Zeit und Wissen, Hanser 1992

 

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