Als sich die Naturforscher vergangener Jahrhunderte daran machten, Lebewesen von toter Materie abzugrenzen, machten sie diese Unterscheidung an phänomenologischen Eigenschaften fest: Reizbarkeit, Fortbewegung, Stoffwechsel, Wachstum und Fortpflanzung sind die Kernmerkmale des Lebens. Als das Mikroskop erfunden war, entdeckte man, dass alle Lebewesen aus Zellen aufgebaut sind, die sich verändern und sich teilen können. Die Eigenschaften des Lebens lassen sich auf das Verhalten der Zellen zurückführen. Zudem erkannten die Chemiker, dass alle Lebewesen aus komplexen Molekülen bestehen, die aus den chemischen Elementen Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O), Stickstoff (O), Schwefel (S) und Phosphor (P) zusammengesetzt sind. Da die Chemiker diese komplexen Kohlenstoff-Verbindungen nur aus Lebewesen kannten, wurden sie organische Substanzen genannt. Die genannten Elemente kommen in der Erdatmosphäre (N, O, H, C) bzw. in der Erdkruste (P, S, O, C) reichlich vor. Um sie in chemischen Reaktionen zu organischen Molekülen miteinander zu verbinden, braucht es jedoch einen Energiestrom – etwa in Form elektrischer Entladungen oder einer Wärmequelle. Zudem enthalten physiologisch wichtige Moleküle, darunter zahlreiche Enzyme oder das für die Photosynthese erforderliche Chlorophyll, auch noch Metalle wie Eisen, Zink oder Mangan.

Wenn das Leben auf der Erde durch zufällige Prozesse entstanden ist, muss es über lange Zeiträume eine Vielfalt an organischen Molekülen in lokal hohen Konzentrationen gegeben haben. Doch woher könnten die organischen Moleküle gekommen sein?

Eine Möglichkeit wäre, dass die organischen Moleküle nicht auf der Erde entstanden sind, sondern aus dem Weltall stammen. In der Tat prasselten in der Frühphase unseres Sonnensystems viele Meteoriten auf die Erde und die anderen Planeten ein. In interstellaren Gasen und Asteroiden konnten organische Moleküle mittels spektroskopischer Untersuchungen nachgewiesen werden. Trotzdem ist es eher unplausibel, dass die Grundbausteine des Lebens aus dem Weltall auf die Erde gekommen sind. Denn organische Moleküle sind sehr empfindlich gegen Hitze und Strahlung. Energiereiche kosmische Strahlung und auch schon das UV-Licht der Sonne zerstören die meisten organischen Moleküle in kurzer Zeit. Beim Eindringen in die Erdatmosphäre erhitzen sich Meteoriten äußert stark, sodass etwaige organische Bestandteile kaum unbeschadet bis zum Erdboden gelangen könnten. Selbst wenn hier und da organische Moleküle aus dem Weltall die Erde erreicht haben sollten, kann dies nicht zu andauernd hohen lokalen Konzentrationen an organischen Molekülen geführt haben, denn Meteoriteneinschläge waren damals zwar häufiger als heute, aber auch kein kontinuierlicher Dauerregen.

Eine zweite Möglichkeit wäre, dass die organischen Moleküle in der Atmosphäre der noch jungen Erde gebildet worden sind. Neben Stickstoff und Wasserdampf gab es damals durch vulkanische Aktivität auch einfache Kohlenstoff- und Schwefel­verbindungen (CO2, CO, H2S, SO2, SO3) in größeren Mengen in der Gashülle der Erde. Laborexperimente haben gezeigt, dass elektrische Entladungen in Gasgemischen, die ähnlich wie die frühe Erdatmosphäre zusammengesetzt wurden, zur Bildung von Aminosäuren und anderen organischen Substanzen führen. Blitze waren in der frühen Erdatmosphäre, in der es mehr gedampft und gebrodelt haben dürfte als heute, sicher keine Seltenheit und kommen als eine mögliche Energiequelle für die benötigten Reaktionen infrage. Blitze bilden sich aber nicht kontinuierlich, sondern nur sporadisch an immer anderen Orten, was dauerhaft hohe Konzentrationen an organischen Molekülen am gleichen Ort unwahrscheinlich macht. Zudem kann Phosphor nicht durch atmosphärische Prozesse gebunden worden sein – denn Phosphor kommt hauptsächlich in Gesteinen und nicht in gasförmigen Verbindungen der Erdatmosphäre vor.

Schwarzer Raucher im Atlantischen OzeanDer Blick richtet sich daher auf einen anderen möglichen Entstehungsort – den Meeresboden. In der Frühphase der Erde war die Erdkruste noch nicht so abgekühlt wie heute, sodass es auf großen Flächen zum Kontakt zwischen Wasser und heißem Gestein bzw. Magma gekommen sein wird. Auf der heutigen Erde herrschen solche Bedingungen nur noch an wenigen Orten, etwa auf dem Mittelatlantischen Rücken, wo man im Umfeld der sogenannten Black Smoker hohe Konzentrationen organischer Moleküle gemessen hat. Für die Entstehung organischer Moleküle am Meeresboden spricht auch der Umstand, dass Phosphor sowie Metalle wie Eisen, Mangan oder Zink, die essentieller Bestandteil vieler Enzyme sind, praktisch nicht in der Erdatmosphäre vorkommen, sondern nur in Gesteinen gebunden.

Wenn wir den Meeresboden als primären Entstehungsort organischer Substanzen ansehen, so haben wir eine Produktionsstätte gefunden, die großflächig und kontinuierlich über viele Jahrmillionen organische Substanzen in hoher lokaler Konzentration produzieren konnte. Doch das Wissen über die geophysikalischen Zusammenhänge lehrt uns, dass die Wärmeerzeugung durch radioaktiven Zerfall im Erdinnern im Laufe der Erdgeschichte schwächer wurde. Die Erde kühlte sich folglich allmählich ab, die Erdkruste wurde fester und dicker, das Brodeln und Dampfen am Meeresboden ließ nach. Damit versiegten die Quellen für die organischen Moleküle allmählich. Was früher reichlich vorhanden war, wurde nun zu einer knapperen und knapperen Ressource. Das Überleben konnten frühe Lebensformen nur sichern, wenn sie einen Weg fanden, das benötigte Material selbst herzustellen. Not macht bekanntlich erfinderisch.

Da alle uns bekannten Lebensformen aus Zellen aufgebaut sind, liegt die Vermutung nahe, dass die Urformen des Lebens kleine Vesikel waren, die von einer Lipidschicht umgeben waren und in ihrem Inneren verschiedene organische Moleküle beherbergten, die durch die Lipidschicht hindurch ein- und ausgeschleust werden konnten, ähnlich wie bei unseren heutigen Zellen. Lipide bestehen aus einem hydrophilen Kopf und einem langen hydrophoben Schwanz. Dadurch neigen sie zur spontanen Bildung von dünnen Filmen an Grenzflächen zwischen Wasser und Gasen, wie es jeder von Ölfilmen auf Pfützen her kennt. Klappen die dünnen Filme durch Wasserbewegung um, dann entstehen Vesikel - man denke an die vertraute Bildung von Seifenblasen. Da es in der Frühzeit der Erde am Meeresboden viele blubbernde Black Smoker gegeben haben wird, wäre es denkbar, dass sich dort um die kleinen Gasbläschen dünne Filme von Lipiden und anderen organische Molekülen bildeten. Wenn die Gase dann allmählich durch die semipermeablen Lipidfilme entwichen und sich im umgebenden Meerwasser auflösten, füllten sich die Vesikel mit salzigem Meerwasser. Noch heute enthalten alle Zellen eine wässrige Salzlösung.

Da die Energiequelle für die Synthese der organischen Moleküle, der Wärmestrom aus dem Erdinnern, sukzessive versiegte, mussten die Urformen des Lebens eine neue Energiequelle erschließen - das Sonnenlicht. Organische Moleküle wie Chlorophyll können mithilfe von Sonnenlicht Wassermoleküle in atomaren Wasserstoff und atomaren Sauerstoff aufspalten, die dann für weitere Reaktionen zur Verfügung stehen.

Andere frühe Lebensformen vermochten es, Fette und Zucker aus anderen Molekülen zu synthetisieren, indem sie Proteine als Katalysatoren benutzten. Dafür brauchten sie jedoch eine geeignete Energiequelle. Interessanterweise benutzen alle heutigen Lebewesen auf der Erde den gleichen universellen Träger von Betriebsenergie – nämlich Adenosintriphosphat (ATP). Dass es sich dabei um eine Phosphat-Verbindung handelt, bestärkt unsere Hypothese, dass der Ursprung des Lebens auf dem Meeresboden zu suchen ist, denn nur dort konnten Phosphate aus Gestein in wässrige Lösung übergehen und sich mit organischen Molekülen wie Adenosin verbinden. Vermutlich wurde ATP anfänglich reichlich am Meeresboden gebildet. Da die Energiemenge, die bei der Umwandlung in Adenosindiphosphat durch Abspaltung eines Phosphatrests freigesetzt wird, für viele organische Synthesen ausreichend ist, konnte es sich als Energieträger etablieren. Möglicherweise gab es damals auch noch andere Moleküle, die als Energieträger genutzt wurden. Aber als der Nachschub knapp wurde, war es das System ATP / ADP, für das die Natur ein Recycling-System erfand und das sich daher im Zuge der präbiotischen Evolution durchsetze. Alle heutigen Lebensformen recyceln ADP zu ATP, indem sie energiereiche Substanzen wie Kohlenhydrate oder Fette oxydieren.

Im Ozean muss es seinerzeit von makromolekularen Maschinen gewimmelt haben, die einzelne Knappheiten ausgleichen konnten. Je mehr nicht nur einzelne Komponenten knapp wurden, sondern generell der Nachschub organischer Moleküle nachließ, blieb als einzige Überlebensstrategie, dass verschiedene Urformen des Lebens ihre Fähigkeiten kombinierten und sich als Endosymbionten zusammenschlossen. Alle heutigen Zellen enthalten deshalb verschiedene Organellen, die von eine Doppellipidschicht umgeben sind, was darauf hindeutet, dass die Vorläufer dieser Organellen einst selbstständig waren. Die Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen, die ATP herstellen, im Zellkern wird der Bauplan der Zelle in den Erbmolekülen RNA oder DNA gespeichert, die Chloroplasten, die nur in Pflanzenzellen vorkommen, können das Sonnenlicht zur Wasserspaltung nutzen.

Die allermeisten der Urformen des Lebens sind allerdings untergegangen, ohne Spuren zu hinterlassen, anhand derer wir sie heute untersuchen könnten. Neben den Organellen, die wir heute in allen Zellen finden, ist lediglich ein weiterer ferner Widerhall der Urformen des Lebens übriggeblieben: Die Viren. Viren enthalten lediglich das Erbgut, das erforderlich ist, um ihre Hülle aus Proteinen herzustellen. Um sich zu vermehren, sind sie jedoch auf andere Lebensformen angewiesen, die Erbmoleküle in Proteine übersetzen können.

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