Diversität gilt in heutigen westlichen Gesellschaften als begrüßenswert und förderwürdig. Doch welche Auswirkungen hat Diversität im Denken wirklich?

Als Begründung, weshalb Diversität in Organisationen oder Gesellschaften begrüßenswert oder gar förderwürdig sei, wird häufig angeführt, dass heterogen zusammengesetzte Gruppen besser in der Lage seien, Herausforderungen zu meistern. Diversität wird dabei meist plakativ an Merkmalen wie Geschlecht, sexueller Orientierung, Hautfarbe und Herkunft festgemacht. Doch um Herausforderungen zu meistern, kommt es weniger auf die sexuelle Orientierung oder die Hautfarbe an, sondern auf die Diversität im Denken.

Diversität in TeamsDiversität im Denken auszuhalten ist sehr viel anstrengender, als eine Gruppe hinsichtlich Geschlecht oder Herkunft zu mischen. Meine Lebenserfahrung hat mich gelehrt: In einer Gruppe, die aus Menschen mit sehr unterschiedlichen Prägungen und Herangehensweisen besteht, kann es schwer bis unmöglich sein, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu verständigen. Über alles wird strittig diskutiert. Hingegen in homogenen Gruppen, deren Mitglieder ähnlich "ticken", erlaubt das vorhandene "stumme Einverständnis" ein effizientes Arbeiten. Solche homogenen Gruppen laufen jedoch Gefahr, an Bewährtem festzuhalten und die Notwendigkeit von Veränderungen zu spät zu erkennen.  

Wahrscheinlich verhält es sich mit der Diversität im Denken ähnlich wie mit den Mutationen in der biologischen Evolution: In stabilen Umweltverhältnissen fährt ein Lebewesen mit einem stabilen Genom am besten, die meisten Mutationen sind nutzlos oder gar schädlich. Wenn es hingegen darauf ankommt, sich auf veränderte Umweltbedingungen einzustellen, profitiert eine Art davon, wenn sie einen diversifizierten Genpool besitzt. In analoger Weise ist Homogenität im Denken einer Gruppe förderlich, um Routineaufgaben effizient zu erledigen. Wenn es hingegen darauf ankommt, etwas Neues zu entwickeln oder mit veränderlichen Bedingungen zurecht zu kommen, dann birgt eindimensionales Denken ein hohes Risiko zu scheitern, während Diversität im Denken eher zum Finden tauglicher Lösungen führt.

Übertragen auf die Wissenschaft bedeutet diese Einsicht: Besitzt eine Wissenschaftsdisziplin ein allgemein akzeptiertes Paradigma, so ermöglicht dies eine hohe Akzeptanz bei der Wisssensvermittlung als auch eine routinierte Wissensproduktion in der Forschung. Dadurch wird unproduktiver Streit vermieden, den manche Wissenschaftdisziplin erlebt hat, wenn konkurrierende Denkschulen um die Vorherrschaft gekämpft haben. Für das Erzielen wissenschaftlicher Durchbrüche und die Erschließung von Neuland ist es hingegen schädlich, wenn es an Diversität im Denken mangelt. Diversität im Denken ist aber kein Allheilmittel, sondern hat ihren Preis - nämlich den hohen Aufwand, um das wenige Brauchbare von dem vielen Unnützen zu scheiden. 

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